Einleitung
Hamburg ist eine Großstadt, in der Lautstärke, Schnelllebigkeit, Reizüberflutung und Regenwetter auf der Tageskarte stehen. In einer Großstadt zurechtzukommen ist vor allem für Zugezogene und ältere Menschen, auch ohne diese Faktoren, nicht einfach. Viele werden einsam oder geraten in einen Strudel der Überforderung. Sich sozial ausgegrenzt zu fühlen, ist eine Erfahrung, die am besten durch andere Menschen gelindert werden kann.1 Wie also verschafft man sich Gehör und wer hört überhaupt zu?
In Hamburg gibt es unzählige telefonische Seelsorgeeinrichtungen. Sie sind besonders attraktiv für Menschen, die eingeschüchtert sind von dem medizinischen System, die überfordert sind mit ihrer Lebenssituation oder die einfach ein Problem haben, dass sie nicht mit Familie oder Freunden teilen wollen. Telefonseelsorge ist anonym, barrierefrei, immer erreichbar und frei von Wertung oder Beurteilung. In meiner Forschung habe ich mich stark auf die Eigenschaften der telefonischen Seelsorge fokussiert und gefragt, was sie für die Menschen bewirken? Ob sie zum Erfolg der telefonischen Seelsorge beitragen? Und welchen Stellenwert die ehrenamtliche Arbeit in diesem Feld einnimmt.
Forschungsdesign und Methoden
Überall in Hamburg hängen die Sticker der studentischen Telefonseelsorge Hamburg .2 Vor allem um die Universität herum ist ihnen nicht auszuweichen. Hinzu kam eine Stellenausschreibung der StuTS als ehrenamtliche Mitarbeiter*in. Da ich Interesse an der Einrichtung hatte, verschaffte ich mir ein Interview mit Christoph Jaeger, dem Leiter der StuTS. Darüber eröffneten sich mir weitere Zugänge und im Rahmen einer Hausarbeit zu dem Thema „Nähe oder Distanz – Wie baut die studentische Telefonseelsorge Hamburg durch technik- und Mediennutzung eine „technogene“ Nähe“ zu ihren Anrufer*innen auf?“ Im Zuge dessen sammelte ich viel Literatur und Wissen über das Feld. Das Seminar „Kultur unter der Haut – Gesundheitsmetropole Hamburg“ lief parallel und daher entschied ich mich dafür, das Thema nochmals aus einer medizinanthropologischen Perspektive zu beleuchten. Ein zufälliger Kontakt mit einer Mitarbeiterin der TelefonSeelsorge Hamburg verschaffte mir ein weiteres Interview. Ferner betrieb ich sehr viel Internetrecherche auf den Internetseiten verschiedener Telefonseelsorgeeinrichtungen, in Foren, auf Facebook und Instagram. Das Magazin 24/7 – Zeitschrift der TelefonSeelsorge Deutschland bot auch sehr viele aufschlussreiche Informationen. Einzelne Artikel sind im Internet frei zugänglich und behandeln unterschiedliche Themen rund um die telefonische Seelsorge. Zuletzt erstellte ich einen eigenen Instagram-Account unter dem Namen „stickeroundtelefonseelsorgehh“. Hier sammle ich alle von mir fotografierten Sticker und bekomme gelegentlich auch welche zugeschickt.
Theorie
Der Ansatz des Sozialanthropologen Thomas Hengartner erscheint mir in Bezug auf die telefonische Seelsorge sinnvoll. Er sieht die Technik (wie auch Hermann Bausinger) als Teil der Alltagskultur.3 Mit zunehmendem technischen Fortschritt kann die romantische Vorstellung, dass Technik nichts mit der natürlichen Lebenswelt des Menschen zu tun habe, nicht weitergedacht werden. Technik ist heutzutage selbstverständlich in den Alltag miteinbezogen und kann deshalb in der kulturanthropologischen Forschung nicht getrennt betrachtet werden. Judith Butler und Stefan Hirschauer prägten den Begriff „practical turn“ bzw. „Praxeologie“.4 Diese Kulturtheorie setzt voraus, dass Annahmen, Stigmata und Vorurteile in der Gesellschaft durch die Wiederholung von Praktiken verfestigt werden. Die Vorgänge erscheinen nach einer gewissen Zeit natürlich. Diese Theorie kann man in Bezug auf die TelefonSeelsorge anwenden, wenn man sich auf die Tabuisierung von Suizid und psychischen Krankheiten und auch auf das Ehrenamt bezieht. Stigmatisierte Ansichten der Gesellschaft auf Depressionen etc. haben zur Folge, dass Menschen sich nicht trauen Hilfe in Anspruch zu nehmen und es zu Notsituationen wie einem versuchten Suizid oder Suizidalität kommt. Daran kann man auch sehr gut Bruno Latours Akteur-Netzwerk-Theorie anschließen. Würde man um die telefonische Seelsorge ein Netzwerk skizzieren, stellen die Hauptakteure die ehrenamtlichen Mitarbeiter*innen, das Telefon und die anrufende Person dar. Wenn man es ausführen würde, kommen noch Kopforganisationen wie die Kirche und das Gesundheitssystem, welches den Missstand mitbeeinflusst, zum Vorschein. Interessant finde ich aber vor allem, dass das Telefon eine zentrale Rolle spielt. „Auch „nichtmenschliche Akteure“ im Sinne der Akteur-Netzwerk-Theorie sind an vielen Praktiken maßgeblich beteiligt: Artefakte, das heißt von Menschen geformte Dinge wie der Keil oder der Computer, gestalten das Soziale maßgeblich mit, indem sie einzelne Praktiken oder auch ganze Praktikenkomplexe verändern oder überhaupt erst ermöglichen.“5 Sorge- und Informationsarbeit der Ehrenamtlichen könnte ohne das Telefon nicht stattfinden.
Um das Ehrenamt kann man noch ein ganz eigenes Netzwerk spannen. Die Kirche und expliziter die Gemeinden, die Diakonie und Caritas und die Bevölkerung, die Kirchensteuer zahlt, die Politik und das Gesundheitssystem. Was hängt zusammen und lässt sich in diesem Fall der Staat von der Kirche trennen?
Entstehungsgeschichte der telefonischen Seelsorge in Europa
Arbeitsweise der TS
Die Arbeit der TelefonSeelsorge fängt bei der Anwerbung der ehrenamtlichen Mitarbeiter*innen an. Dies geschieht über das Internet, Rundmails und aktive Anwerbung z.B. in der Universität. Insbesondere für Student*innen der Psychologie ist die Einrichtung interessant, da sie erste Erfahrungen im Führen eines Beratungsgespräches sammeln können. Es wird mit „einer Ausbildung in telefonischer Seelsorge, Fortbildung und Supervision in diesem Bereich, ein im Fachbereich Psychologie anerkanntes Praktikum, Selbsterfahrung, Erfahrung in der Seelsorge und in der Kommunikation und im Erwerb berufsqualifizierender Kompetenzen“ geworben. Für die Ausbildung sollte man Bereitschaft zur Selbstreflexion mitbringen und regelmäßig an den Fortbildungen und Supervisionen teilnehmen. Es wird erwartet, dass die Ehrenamtlichen gegenüber den Themen, die am Telefon besprochen werden, dem Ort der Dienststelle und der Identität der Kolleg*innen verschwiegen sind. Bewerber*innen sollten sich fragen, ob ihr eigener psychischer Zustand diese nervenaufreibende Arbeit erlaubt ohne die Anonymität der Anrufenden und Mitarbeitenden zu gefährden. Hinzu kommen Seminare am Wochenende und 10 Hospitationen. Bei Hospitationen begleiten die Auszubildenden die Schichten von Mentor*innen (Ausbilder*innen). Zu Beginn werden einzelne Gespräche unter der Aufsicht von einer/m Mentor*in geführt bis hin zur Abnahme aller eingehenden Anrufe. In den Workshops und Ausbildungsstunden werden Gesprächstechniken an die Hand gelegt. Den Auszubildenden werden außerdem Methoden aus der systematischen Therapie unterzogen. Zum Beispiel erzählt die Seelsorgemitarbeiterin, dass in einer Gruppensitzung jeder ein Genogramm von seiner Familie erstellen muss. Die Arbeit in der Gruppe schafft ein sehr persönliches Arbeitsverhältnis und die Dynamik der Gruppe ist die Basis für den offenen Umgang mit den Thematiken. Eine theoretische Ausbildung, also die Erlernung von den Grundlagen über psychische Erkrankungen durch Textarbeit, gibt den Mitarbeiter*innen zusätzliche Sicherheit. Telefondienst und Supervision haben die Mitarbeiter*innen jeweils zwei Mal im Monat. So wird sichergestellt, dass die Geschehnisse zu genüge reflektiert werden und man sich nicht allein gelassen fühlt. Wichtig für die Telefonseelsorgestelle ist auch die Wertschätzung der Mitarbeiter*innen. Für meine Interviewpartnerin ist Authentizität das höchste Gut, was sie den Menschen entgegenbringen kann. Also wenn sie sich selbst in einem Gespräch nicht mehr wohlfühlt, beschreibt sie Ihre Gefühlslage und legt bei Dauer- oder Sexanrufer*innen aus Selbstschutz auch mal auf.
Die Telefonseelsorgedienststellen in Deutschland folgen alle den „Grundsätze der Telefonseelsorge“. Diese beinhalten: Anonymität der Anrufenden und Seelsorger*innen, Verschwiegenheit, kontinuierliche Dienstbereitschaft, also geöffnete Leitungen zu jeder Zeit an jedem Tag, Offenheit gegenüber allen Problembereichen, Kompetenz der Seelsorger*innen durch eine gründliche Ausbildung, regemäßige Weiterbildung und regelmäßige Supervisionen, Weltanschauliche Offenheit also weder konfessionelle, politische oder ideologische Zuschreibungen und Gebührenfreiheit. In Deutschland übernimmt die Telekom AG als Partner der TelefonSeelsorge alle anfallenden Kosten. Erreichbarkeit rund um die Uhr ist für solche Menschen wichtig, die sogenannte „Vergewisserungsanrufe“7 tätigen.
Sie überprüfen, ob im Falle eines Kontrollverlustes eine Hilfestellung zur Verfügung steht. Die TelefonSeelsorge nimmt dabei eine sogenannte „Nachtwächterfunktion“ 8 ein. Die „Arbeit“ ist insofern durch die alleinige Existenz des Angebotes getan.
Ehrenamt
Jede Telefonseelsorgestelle, wie fast alle ehrenamtlichen Organisationen, werden von kirchlichen Einrichtungen subventioniert. Mit den Geldern werden die Hauptamtlichen also die Ausbilder*innen bzw. Mentor*innen bezahlt sowie bei der TelefonSeelsorge eine Ehrenamtspauschale von ungefähr 7 Euro pro Vier Stunden, um die Anfahrtskosten für die Mitarbeiter*innen zu decken. Der Staat und die Kirche sind in Deutschland seit 1919 offiziell getrennt. Die Trennung ist aber lange nicht vollständig erfolgt, wenn man sich überlegt, dass ganze Gesundheitssysteme ohne die Unterstützung der Diakonie und Caritas einbrechen würden. Auch, wenn sich die telefonische Seelsorge klar dagegen ausspricht missionarische Arbeit zu leisten, ist die Motivation dahinter auf einem christlich geprägten Menschenbild aufgebaut. Da es ganz offensichtlich ein Defizit in der medizinischen Versorgung und, wenn man weiter gehen möchte in der Belastung einzelner Menschen durch ihre Lebenswelt gibt, warum werden die „notverursachenden Strukturen“ nicht aufgedeckt und bekämpft? Ehrenamtliche machen die Arbeit, die allen anderen unangenehm ist. Sie opfern ihre Zeit für andere Menschen, ohne einen materiellen Profit daraus zu schlagen. Die Arbeit ist oft mit psychischer Belastung verknüpft. Der Staat macht sich die Bereitschaft zu Nutze. Warum jemanden voll bezahlen, wenn sich auch ehrenamtliche Helfer*innen finden lassen? Sollte der Staat sich so sehr auf die Ehrenamtlichen stützen oder sie gegebenenfalls durch Gelder unterstützen? Diese Gedankengänge sind sehr wichtig um die Komplexität des Netzwerkes um eine seelsorgerische Einrichtung reflektiert betrachten zu können. Gisela Notz` Kategorisierung Ehrenamtlicher Arbeiter*innen in fünf Gruppen9 macht deutlich, dass es sich bei der Ausführung von ehrenamtlicher Arbeit um ein Suchen nach einem eigenen Erfolgserlebnis handelt. Sei es nur eine „sinnvolle“ Beschäftigung oder die Chance auf eine weitere Qualifikation im Lebenslauf. Auffällig ist doch, dass in den Kategorisierungen nur von den Wünschen der Ehrenamtlichen für sich selbst ausgegangen wird. Der Anspruch an ehrenamtliche Arbeit ist also nicht nur das Bedürfnis anderen zu helfen, sondern auch einen Nutzen für sich selbst daraus zu ziehen.10 Egoistisch motiviert ist es allerdings nicht. Allein schon, dass in der TelefonSeelsorge alles anonym bleiben muss, verhindert den „Missbrauch“ des Ehrenamtes zur Selbstverherrlichung, da man ja auch aus Selbstschutz möglichst vermeidet darüber zu reden. Die Ehrenamtlichen unterziehen sich einem enormen Druck, welchem meines Erachtens nach nicht standgehalten werden könnte, wenn die Arbeit nicht aus einer genuinen Überzeugung, Menschen helfen zu wollen, erfolgen würde. Ehrenamtliche Mitarbeiter*innen sind keine ausgebildeten Psychiater*innen oder Psychotherapeut*innen. Dennoch werden sie mit den tiefen Abgründen, in die ein Mensch psychisch fallen kann, konfrontiert.
Forschungsstand
Die telefonische Seelsorge wurde bisher meist aus der theologischen Perspektive oder von Theologen untersucht. Viele der Forscher*innen haben Weiterbildungen in Psychologie und sind selbst in der telefonischen Seelsorge engagiert und arbeiten aus pädagogischem und/oder soziologischem Interesse. Forschungen aus dem medizinischen Bereich und aus der Suizidordnung kommen hinzu. In der Suizidforschung ist die telefonische Seelsorge unter der Kategorie Primär- und Sekundärprävention einzuordnen. Primärprävention behandelt Probleme wie Aufklärung, Erziehung und Suchtmittelbekämpfung und erfolgt durch Beratung und Vermittlung von Lösungen und Kriseninterventionsprogrammen. Unter Sekundärprävention fällt bereits die Arbeit von Selbsthilfegruppen, der Polizei und Feuerwehr, Psychotherapeut*innen und Psycholog*innen.11 Es gibt soziologische Studien, Handbücher und viel Literatur zu dem technischen Faktor der Seelsorgeeinrichtungen. Der Sammelband „Telefon und Gesellschaft. Band 2: Internationaler Vergleich – Sprache und Telefon – Telefonseelsorge und Beratungsdienste – Telefoninterviews.“ beinhaltet Forschungsansätze zu zum Beispiel technogener Nähe, dem Telefon als Akteur in dem Netzwerk Seelsorge und dem Einfluss des Mediums Telefon auf die Kommunikation. Insgesamt war ich überrascht, wie viel Literatur zu dem Thema TelefonSeelsorge existiert. Ergänzt wurde es noch durch Radiobeiträge, Internetquellen und Artikel und ganze Zeitschriften wie das Magazin 24/7, die sich dem Thema der Seelsorge bzw. Telefonischen Seelsorge widmen. Insgesamt macht es einem die breite Masse an Material sehr leicht interdisziplinär zu forschen.
Telefonseelsorge als akute Hilfestellung
Psychische Krankheiten sind in der Gesellschaft nach wie vor ein Tabuthema. Menschen, die darunter leiden, wird mit Misstrauen begegnet. Oft wird das Leiden nicht ernst genommen oder verharmlost. Dazu kommt die Angst der Betroffenen vor einem Ausschluss aus ihrem sozialen Umfeld oder auch Scham gegenüber Freund*innen und der Familie. Die Gründe, warum davor gescheut wird sich Hilfe zu suchen, sind vielschichtig. Eine historische begründete Ablehnung des Begriffes einer psychischen Erkrankung geht alldem voraus. Die Angst nicht verstanden zu werden, wird durch die momentane Gesundheitspolitik nicht gemildert. Viele Menschen denken aufgrund von mangelnder Aufklärung über psychische Krankheiten auch nicht, dass sie Anrecht auf einen Therapie-Platz haben. Eine weitere Hürde ist das Attest des/der Hausarztes/Hausärztin oder einer/s Psychiaterin/s um die Notwendigkeit eines festen Therapieplatzes im Vorhinein festzustellen und eine Schnelldiagnose zu machen. Solche Schnelldiagnosen passen meist nicht zu dem Selbstbild der Patienten und verunsichern deshalb. Die Wartezeit beträgt durchschnittlich drei Monate, in ländlichen Gebieten noch länger.12 Nach dem Erstgespräch wird von ärztlicher Seite und von der Seite der Patienten entschieden ob gemeinsam eine Therapie durchgeführt wird. Nun kann es sein, dass die/der Patient*in sich nicht wohlfühlt oder, dass die Krankenkasse nicht für die Kosten der Therapie aufkommt. Es entsteht eine zusätzliche Belastung. Krankheiten können chronisch werden oder es werden Suizidgedanken entwickelt und im schlimmsten Falle umgesetzt. An dieser Stelle bietet die telefonische Seelsorge eine Hilfestellung. Die Seelsorgestellen sprechen sich klar darüber aus, dass sie keine Diagnosen stellen. Die ehrenamtlichen Mitarbeiter*innen erlernen in ihren Ausbildungen jedoch die Grundlagen der am häufigsten vorkommenden psychischen Krankheiten und können so eine „produktive“ Hilfestellung ermöglichen. Die Hürde bei der telefonischen Seelsorge anzurufen, wird durch mehrere Faktoren geebnet. Anonymität, Erreichbarkeit rund um die Uhr und aus jeglicher Distanz und Offenheit gegenüber allen Anrufenden. Die einzige Voraussetzung ist der Besitz eines Telefonanschlusses oder Smartphones.
Anonymität
Der erste erleichternde Faktor für den Schritt den Anruf zu tätigen, ist die Anonymität. Wie bereits beschrieben, ist die Anonymität bei der Telefonseelsorge sowohl für die Anrufenden als auch für die Mitarbeiter*innen gewährleistet. Jörg Wieners schreibt, dass die Anonymität dem Schutz der Mitarbeitenden dient und den alleinigen Kontakt während der Arbeitszeit mit Seelsorgebedürftigen sichert.13 Trotz Anonymität kann durch die Nutzung des Telefons eine partielle Nähe der Gesprächspartner*in hergestellt werden oder vielleicht grade wegen der Anonymität. Die Anonymität schützt aktiv alle Beteiligten. Sie kann ein Hindernis für die Beseitigung des Problems darstellen, da jegliches Gefühl verbalisiert werden muss, weil die/der Seelsorger*in keine Mimik sehen kann und deshalb zum Beispiel eine „Offene Tür“ besser geeignet wäre und sie kann eine zusätzliche Belastung für die/den Seelsorgende/n darstellen, da man in eine Person, die man nicht kennt, schnell Handlungen und Emotionen projetzieren kann. . „Man muss sich komplett aufs Ohr verlassen und auf das, was eben zu hören ist und entsprechend groß sind die Phantasien, die entstehen können. Man kann ganz viele Ideen haben, was da wohl sein könnte, kann das aber nur überprüfen, indem man nachfragt und versucht das herauszufinden im Gespräch „gucken“ kann man halt nicht.“14 Gerade, weil das Telefon so eine direkte Nähe zum Körper hat, bzw. man hat die Stimme des anderen direkt am Ohr, entsteht eine interessante Mischung aus Anonymität und Intimität. Jürgen Bräunlein beschreibt die Entstehung eines „akustischen Kommunikationsraumes“ zwischen den Gesprächspartner*innen. Dieser akustische Raum kann intimer sein als ein „Face-to-Face“ – Gespräch da keine Dritten zuhören oder daran teilhaben können und man eben die Stimme des anderen direkt am Ohr hat. Christoph Jaeger findet, dass diese Nähe „sehr berührend“15 sein kann und die Gespräche einen deshalb noch länger „verfolgen“16 können. Zusammenfassend, Anonymität schützt, kann aber auch Probleme hervorrufen. Sie lässt das Wahren von Distanz zu, schafft aber Intimität auf einer Meta-Ebene.
Erreichbarkeit
Die telefonische Seelsorge ist von allen räumlichen und finanziellen Hindernissen befreit. Lediglich ein Telefonanschluss oder Mobiltelefon ist notwendig. Die meisten Einrichtungen sind 24/7 erreichbar. Kosten übernimmt die Telekom AG und die Nummern und alle Informationen sind im Internet frei zugänglich. All das ist essentiell für den Erfolg des Seelsorgedienstes. Viele Menschen, die mit Suizidgedanken und/oder ihrer mentalen Gesundheit zu kämpfen haben, sind zudem Faktoren wie Armut, Altersarmut, Behinderung, Angststörungen oder auch einer sehr schlechten Infrastruktur ausgesetzt. Durch den technologischen Fortschritt lassen sich einige dieser Störfaktoren umgehen. Das Telefonnetz ist heutzutage umspannend. Selbst wenn man von unterwegs anruft, bleibt die Verbindung stabil. In und um Hamburg wird Werbung für das Angebot der StuTS gemacht und theoretisch könnte man aus ganz Deutschland anrufen.
Spezialisierung
Auf der Internetseite des hamburgischen Telefonbuchs „dastelefonbuch.de“ finden sich unter dem Stichpunkt „Seelsorge“ 19 verschiedene Nummern. Darunter die „Studentische Telefonseelsorge“, die Seelsorge der Heilsarmee, verschiedene TelefonSeelsorge Angebote von Krankenhäusern und Kirchen, die AIDS-Seelsorge und die des Berufsförderungswerkes Hamburg. Unter dem Stichwort „Beratung/ Beratungsstellen“ sind 263 Nummern verzeichnet. Zum Beispiel: Ehe-, Familien-, und Lebensberatung, Sektenberatung, Anonyme Alkoholiker, Beratung bei sexueller Gewalt, Jugendtelefone, Anonyme Spieler, Arbeitslosen Telefonhilfe e.V, Eingliederungshilfe, Bahnhofsmission und Beratung für Migrant*innen. Nicht alle der genannten Organisationen befolgen die Grundlagen der Telefonseelsorge, dennoch ist der Anspruch, da Menschen über das Telefon zu helfen. Bei Organisationen wie der TelefonSeelsorge ist zwar klar, jedes Problem findet ein Ohr, dennoch kann es manchmal sinnvoll sein ein spezifisches Nottelefon aufzurufen. Da die Ausbildung der Telefonseelsorger*innen der StuTS z.B. berufsberatungstechnisch eher nicht ausgebildet wird, ist ein Anruf bei einer spezialisierten Beratungsstelle ergiebiger. Das Problem kann schneller angegangen bzw. gelöst werden.
Ergebnisse
Da ich ohne explizite Fragestellung an die Forschung herangegangen bin, war ich sehr positiv überrascht, dass meine Vermutungen über die Wichtigkeit und den Wert der telefonischen Seelsorge bestätigt wurden. Aufgrund dessen habe ich mich in meiner Forschung darauf fokussiert Wer und Was zum Erfolg der Arbeit der telefonischen Seelsorge beiträgt. Das Telefon, also die Technik, ist ein zentraler Akteur im System der telefonischen Seelsorge. Die Technik ist in ihrer Entwicklung zu einem Bestandteil unserer Alltagskultur und einem Hilfsmittel zur Beratung und Krisenintervention und -prävention geworden. Der Einsatz eines Telefons ermöglicht Anonymität und schnelle Erreichbarkeit und es ist zugänglich für den Großteil der Gesellschaft. Es findet eine Subjektivierung des Umgangs mit der eigenen Situation statt. Das Angebot ist frei verfügbar und das Subjekt entscheidet darüber, ob es es nutzt. Ehrenämtler*innen stellen einen Träger der Suizidprävention dar. Ihre Ausbildung und die Dynamik der Ausbildungsgruppen tragen maßgeblich zu dem Erfolg der Seelsorge bei. Den Anspruch, Menschen mit Empathie zu begegnen, können sich Notaufnahmen aufgrund von Überlastung meist nicht leisten. Sich ehrenamtlich bei der telefonischen Seelsorge zu engagieren bedeutet Uneigennützigkeit und Bereitschaft. Die meiste Wertschätzung bekommt man dafür nicht von seinen Mitmenschen, sondern von den Leiter*innen der Seelsorgestellen und indirekt von den Anrufenden. Die Ausbildung zu Expert*innen in bestimmten Bereichen (z.B. Suchtprävention oder AIDS-Telefon) schafft reale und akute Hilfe. Allein die Existenz des Angebotes ist für manche Menschen ausreichend. Wenn kein Verlass auf die Umgebung oder sich selbst ist, kann man immer die Nummer wählen. Die Telefonseelsorge ist in dem, was sie sein soll, sehr erfolgreich. Die ehrenamtlichen Helfer*innen werden in der Sekundärprävention zwar neben Psycholog*innen und Psychotherapeut*innen angesiedelt, ersetzen aber keinesfalls eine Therapie.