Von Skadi Kemper
„[…] Zum einen haben wir die Möglichkeit was Gutes für unseren Körper zu tun, es ist halt, wenn man es allgemein betrachtet nichts Schlechtes, sondern eher was Förderliches, was Gutes. Wir gucken auf unseren Körper, wir achten auf unseren Körper, wir analysiere ihn und versuchen aus diesen Werten dann irgendwas Positives rauszuziehen. […] Auf der Arbeit herrscht sowieso schon Leistungsdruck, man will der Beste sein, und durch Challenges auf der Arbeit wird das eher noch krasser. […] Ich bin der Meinung, dass ein Teil unserer Gesellschaft so ehrgeizig ist und das endet im Druck, definitiv. […]“ 2
Definition Self-Tracking
Self-Tracking (dt. Selbstvermessung) bezeichnet grundsätzlich die regelmäßige freiwillige Erhebung und Sammlung von Messwerten jeglicher Art, die die eigene Person betreffen.3 Nach dieser recht allgemeinen Definition von Swan aus dem Jahr 2009 umfasst das Self-Tracking die volle Bandbreite an individuellen Parametern, durch die sich die Leistungsfähigkeit eines Menschen auf unterschiedlichen Ebenen wie der sportlichen Fitness, dem Körpergewicht, dem Schlafrhythmus, den gesundheitsspezifischen Parametern, der Produktivität, dem Standort- und Aktivitätstracking sowie den psychisch mentalen Verfassungszuständen quantifizieren und bewerten lässt.
Das Thema Self-Tracking hat sich in einer sich immer schneller entwickelnden und digital vernetzten Leistungsgesellschaft in den letzten Jahren grundlegend revolutioniert.
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Entstehungsgeschichte des Self-Trackings
Das Thema Self-Tracking beschäftigt die Menschheit bereits seit den ersten Anfängen. Michel Foucault beschriebt dieses in seiner Analyse der antiken Diätetik als „lauter Dinge, die ,gemessen‘ sein müssen. […] Die ganze Zeit über und für alle Tätigkeiten des Mannes problematisiert die Diät das Verhältnis zum Körper und entwickelt eine Lebensweise, deren Formen, Entscheidungen, Variablen von der Sorge um den Körper bestimmt sind“.4
Die Ursache für diese menschliche Neigung bestand nicht zuletzt darin, dass durch Verbesserung und Korrektur der eigenen Fehler sich der Mensch selbst immer höhere Lebensstandards und Entwicklungsstufen erschlossen hatte. Über Jahrhunderte wurde diese Aufgabe durch manuelle und aufwendige Evaluierungsprozesse erfüllt.
Einen besonderen Entwicklungsschub erlebte das Self-Tracking mit der großflächigen Einführung neuer vernetzter Informationstechnologien kurz nach der Jahrtausendwende. Durch die weitreichenden und vielseitigen Anwendungsmöglichkeiten kleiner Taschencomputer mit mobilem Internetzugang, wie das Smartphone, vereinfachte sich die Möglichkeit des Datensammelns sowie die Datenverarbeitung und Datenauswertung erheblich. Entwicklungen von Apps, die die Fähigkeiten der Orts- und Zeitbestimmung sowie der Personalisierung der Geräte miteinander kombinierten und so in einem ganz neuen Ausmaß Erkenntnisse über den Leistungsprozess des Endnutzers zuließen, ermöglichten ein ganz neues Level der Selbstüberwachung zur Steigerung der individuellen Effizienz auf den unterschiedlichsten Themengebieten.
Durch den rasanten technischen Fortschritt und die neuen Perspektiven für Individuum und Gesellschaft veränderten sich auch die Ansprüche an den Einzelnen auf den unterschiedlichsten Ebenen. „In einer Gesellschaft, in der vor allem die Leistungen des Einzelnen für seine soziale Stellung, sein Ansehen, seinen Erfolg usw. ausschlaggebend sind“, stellen die neuen Möglichkeiten zur Quantifizierung und Messbarkeit der eigenen Leistungseffizienz und den Austausch über vernetzte Informationstechnologien ein enormes Potenzial zur Steigerung aber auch eine große Gefahr für missbräuchlichen Einsatz dar.5 Diese Verschiebung der eigenen aber auch fremden Maßstäbe durch gesellschaftliche und technische Innovation bedingten nicht zuletzt das Entstehen der modernen heutigen Leistungsgesellschaft.
Durch diese Entwicklung und das stetige Ansteigen der Anforderungen beruflich wie privat wurde aber auch das Gefälle zwischen Erfolg und Niederlage immer steiler. Die Anforderungen an die Psyche des Individuums „als Gesamtheit des menschlichen Fühlens, Denkens und Empfindens“6 spiegeln auch statistische Erhebungen, wie die der AOK zwischen den Jahren 2006 bis 2016 wieder, in denen sich die Fälle von Arbeitsunfähigkeit durch psychische Erkrankungen um 54 % gesteigert haben.7 Besonders häufig hierbei sind affektive Störungen und das Burn-out-Syndrom, welches als Ausdruck chronischer Überforderung mittlerweile den Status einer „Volkskrankheit“ erlangt hat. Dies wird durch Zahlen der KKH-Allianz belegt, die zwischen den Jahren 2009 bis 2011 ein Anstieg von Krankheitsfällen ihrer Versicherten mit diesen Diagnosen um 18,3 % verzeichneten.8 Die psychischen Einflussfaktoren der deutlich verbesserten Messmethoden, zum Beispiel beim Self-Tracking, auf die Psychohygiene des Einzelnen sind bislang noch weitestgehend unerforscht. Ein Zusammenhang wird jedoch von Expertenseite vermutet.
Um die Gefahren und Potenziale des Self-Trackings für die einzelnen Untergruppen von Nutzern besser abschätzen zu können, ist es notwendig, die Parameter wie Alter und Geschlecht mit einzubeziehen. Zur Abschätzung des Stellenwertes des Geschlechtes ist eine theoretische Betrachtung der Hintergründe der historischen Entwicklung, aber auch des aktuellen Standes und zukünftiger Entwicklung unerlässlich. Andrea Maihofer konstatiert in ihrem Text „Geschlecht als Doing Gender – doch wie kommt das doing in Gang?“, dass es sich bei der Geschlechterklassifizierung weniger um eine anthropologische natürliche Entwicklung handele, sondern vielmehr um künstliche sozio-kulturelle Konstrukte, die performativ das Rollenbild von Frauen determinieren.9 Auch Judith Butler kommt in ihrem Buch „Das Unbehagen der Geschlechter, 1991“ zu diesem Schluss. Ulrike Teubner und Angelika Wetterer beschrieben diese Tatsache wie folgt: „[…] dass wir es bei der Geschlechtszugehörigkeit von Personen und bei der Zweigeschlechtlichkeit als sozialem Klassifikations- und Differenzierungsprinzip nicht mit einer Vorgabe der Natur, sondern mit dem Ergebnis sozialer Konstruktionsprozesse zu tun haben“.10 Durch diese Wandlung der über Jahrhunderte postulierten Geschlechterrollen mit ihren starr determinierten Paradigmen verändert sich grundlegend die Sichtweise auf die Rolle des Geschlechts bei der Bewertung der Gefahren und Potenziale von Self-Tracking.
Entwicklungsstadien des Self-Trackings
Der frühste Selbstvermessungsansatz ist so alt wie die Messinstrumente selbst, die hierfür genutzt werden. Mit der Erfindung von Größen wie Gewicht, Längenmaßen und der Messbarkeit von Zeit wurde die Möglichkeit zur Quantifizierung von Leistungen erstmalig geschaffen. Zu jener Zeit war dies eine Errungenschaft, die die menschliche Entwicklung über Jahrhunderte auf Gebieten professioneller Natur, im Speziellen der Leistungsfähigkeit, beeinflusste. In der breiten Öffentlichkeit war das regelmäßige Messen individualisierter Parameter mithilfe manueller Messgeräte und handgeschriebene Aufzeichnungen aufwendig und schwierig und erforderte spezielle Kompetenzen, sodass dies nur in ausgewählten Bereichen geschah.
Erst mit dem Aufkommen von Smartphones und anderen technischen Neuheiten, ausgestattet mit diversen Sensoren und Messeinheiten sowie digitaler Speicherkapazitäten und Recheneinheiten, vereinfachte sich die Datenerhebung und Auswertung rapide. Jetzt war die breite Nutzung für den Normalbürger möglich und Anwendungsmöglichkeiten beim Sport, der Gesundheitsprävention, der Freizeitgestaltung, der Zeitplanung und -nutzung begannen sich durchzusetzen. Es wurden Apps wie „Runtastic“, „MyFitnessPal“ oder „Gymondo“ entwickelt, um beispielsweise das sportliche Training für den Laien zu optimieren und messbar zu machen. Auch die Gewichtsmessung, die über Jahrzehnte nur mittels manueller Körperwaage und Notizblock möglich war, begann mit online Angeboten wie „Weightwatcher“ eine neue Ära. All diese Neuentwicklungen eint, dass die Datenauswertung nicht mehr von dem Nutzer selbst vorgenommen wird, sondern das Programm diese automatisiert durch Algorithmen anfertigt. Ein Autonomieverlust des Nutzers hierdurch ist jedoch unvermeidbar.
Einblicke in die Self-Tracking Szene
Erste forschungstechnische Einblicke in die Thematik wurden im Rahmen von qualitativen Interviews mit Experten in Hamburg gewonnen, um die Mechanismen von Self-Tracking und dessen Nutzerklientel zu verstehen und anschließend analysieren zu können.
Das es eine Schwerpunktgruppe aus jungen und männlichen Sportlern gibt, die sich moderne technische Self-Tracking Tools bevorzugt zunutze macht, zeigte sich im Experteninterview mit dem Model und Unternehmer Maxim S. aus Hamburg. Seine persönliche Bewertung dieser Selbsterfahrung beschrieb sowohl das Potenzial von umfangreichen und technisch interessanten Angeboten, aber auch eine nicht zu vernachlässigende Zeitinvestition, die in der Bilanz den alltäglichen und breiten Einsatz seiner Meinung nach nicht rechtfertigt. Zudem empfand er einen Autonomieverlust, der zeitweise fast in zwanghaften Gedanken- und Handlungsimpulsen gipfelte. Durch diese Schilderung wird mitunter eine der Gefahren beschrieben, die bei der Bewertung des Self-Trackings gerade in seinen modernsten Formen vermutet wird. Das Horrorszenario eines völlig überwachten und durchgetakteten Lebensrhythmus schreckte den Wahlhamburger Maxim S. vor der großflächigen Anwendung zurück. Anders erklärt dies Brian Fabian Crain im Artikel „Das tollere Ich“, der bereits für die meisten Lebensbereiche Überwachungstools nutzt.12 Seine Ziele beschreibt er in dem Artikel wie folgt: „Mehr und besser arbeiten, gesünder sein und glücklicher, eine gute Beziehung führen und die Zeit besser verbringen. Kurz: Ich will mir bewusst sein, wie ich lebe“.13 Um es präzise auf den Punkt zu bringen, nimmt sich Crain bewusst die Freiheit und Flexibilität kurzfristig seine Zeit und Kraft den eigenen Bedürfnissen aber auch der Umwelt anzupassen und ordnet sie dem langfristig höheren Ziel einer gesünderen, effizienteren und bewussteren Lebensweise unter.
Die „Gretchenfrage“ hinter diesen doch sehr konträren Weltsichten und Lebensstrukturen dieser zwei Beispiele ist, was für das Individuum die Erfüllung der Lebensziele darstellt. Diese Frage ist wohl nur höchst subjektiv zu beantworten, sodass eine fachlich objektive Meinung unmöglich ist. Mag für den einen das Erreichen eines größtmöglichen Effizienzgrades auf nahezu allen Gebieten die persönliche Erfüllung sein, so strebt ein anderer eventuell auch weiche nicht messbare Ziele an wie Wohlbefinden durch Liebe, Zuneigung, Geborgenheit und Zeit für einander haben.
Dieses divergierende Nutzungsinteresse und die individuelle Zielsetzung kann im Rahmen sozialer Interaktion und zwischenmenschlicher Konstellation bedingt durch definierte und zum Teil geschlechts- bzw. altersspezifische Erwartungshaltungen weiter eskalieren, was in einem selbst- und fremdzerstörerischen Konkurrenzkampf in einer extremen Leistungsgesellschaft gipfeln kann. „[…] Auf der Arbeit herrscht sowieso schon Leistungsdruck, man will der Beste sein, und durch Challenges auf der Arbeit wird das eher noch krasser. […]Ich bin der Meinung das ein Teil unserer Gesellschaft so ehrgeizig ist und das endet im Druck, (.) definitiv. Bei der App wo es ums laufen geht und (man, Anmerkung des Autors) sieht jemand hat mehr gelaufen, einer sagt sich, pff mir doch egal der andere sagt, nö, muss ich aber überbieten. (..) Von den Leuten, die sagen, ne muss ich überbieten, ist vielleicht auch einer dabei, der sagt okay problemlos geschafft ab geht’s, dann (gibt es, Anmerkung des Autors) die Leute, die es nicht schaffen, was passiert mit den […]“.14 Dieses Zitat des Experten erörtert präzise die Gefahr der Entwicklung von sozialem Druck in der Psyche sozial instabilerer Persönlichkeiten, die mit der Realität moderner Self-Tracking Verfahren in Kombination mit vernetzter Informationstechnologie und Leistungsdruck konfrontiert werden.
Im Rahmen des Experteninterviews mit dem Mediziner dr. med. Christian Fuchs, wohnhaft in Hamburg, bestätigte dieser die oben erörterten Gefahren und Risiken, die bei der aktiven Nutzung von Self-Tracking durch die Anwender unbedingt zu beachten seien. Der Experte sprach in diesem Bezug vom „Erlangen einer gewissen Mündigkeit“, die durch die fundierte Beschäftigung mit der Materie gewonnen werden könnte und einen sinnvollen, zielführenden und risikoarmen Einsatz des Self-Trackings möglich macht.15 Basierend auf dieser Grundlage ist nach Ansicht des Mediziners der Einsatz von Self-Tracking durch den mündigen Nutzer durchaus erstrebenswert, da somit eine deutliche Effizienzsteigerung aufgrund verbesserter Datenlagen und Fehleranalysen erreicht werden könne. Dies belegte Herr Fuchs auch durch seine persönliche Erfahrung im Rahmen von sportlichen Aktivitäten, für die er ebenfalls die Fitness-App „Runtastic“ nutzt.
Unter Betrachtung dieser drei Forschungsergebnisse und unter Berücksichtigung der Forschungsfrage lässt sich zusammenfassend sagen, dass das Self-Tracking im sportlichen Bereich speziell mit neuen technischen Innovationen für junge technikaffine Männer offenbar ein großes Potenzial zur Selbstoptimierung, Effizienz- und Leistungssteigerung bietet. Gleichwohl wurde offensichtlich, dass bei fehlender „Mündigkeit“ und Verantwortungsbewusstsein sowie bei fehlendem Verständnis für die Gefahren und Potenziale das Risiko für Schädigungen und Missbrauch keineswegs vernachlässigt werden darf. Im Besonderen der Autonomieverlust, der in Zwang und physischen bzw. psychischen Konsequenzen münden kann, ist hierbei unbedingt zu beachten. Auch die Rolle der sozialen und gesellschaftlichen Einflüsse auf die Nutzungsweise des Self-Trackings durch das Individuum in Zeiten der heutigen Leistungsgesellschaft und die durch sie konzipierten Erwartungshaltungen müssen hierbei mit einbezogen werden, da sie im Extremfall in einen häufig destruktiven Konkurrenzkampf enden können.
Aufgrund der Tatsache, dass die weibliche Nutzungsweise im bisherigen Forschungsdesign mit sportlichem Schwerpunkt etwas kurz betrachtet wurde, wurde dies in der Online-Umfrage im Rahmen des Nutzungsverhaltens im besonderen Maße mit einbezogen. So war auch eine gesundheitsorientierte aber auch anderweitige Nutzung zu erfassen, die die Parameter Alter und Geschlecht mit dem Nutzungsverhalten in Zusammenhang setzten.
Besonders auffällig war in der extrapolierten Statistik aus der Online-Umfrage, dass Self-Tracking für nicht sportliche Zwecke von 65 % der Teilnehmer verwendet wurden, während nur 28 % es für das sportliche Training einsetzten. Grund hierfür war nicht zuletzt der überdurchschnittliche Frauenanteil mit 77 %, der aber lediglich zu 21 % Self-Tracking zu sportlichen Zwecken und zu 61 % für anderweitige Aktivitäten nutzte. Diese Umstände der fehlenden Parität der Geschlechter beeinflussten im Wesentlichen auch die Gesamtzahlen. Zur genaueren Betrachtung der Ergebnisse der Online-Umfrage wurde zu Auswertungszwecken in Bezug auf die Parameter Alter und Geschlecht sowie die verwendete Nutzung sechs Nutzer-Schemata entwickelt, um anhand derer eine sinnvolle Gefahren- und Potenzialanalyse für das Individuum abschließend durchführen zu können.
Die erste Anwendergruppe waren weibliche Nutzer zwischen 10 und 29 Jahren, die das Self-Tracking primär für gesundheitliche Zwecke, bei Themen wie Gewichts- und Bewegungskontrolle sowie zur Überwachung des Schlafrhythmus nutzten. Zu einer ähnlichen Schlussfolgerung bezüglich der geschlechterspezifischen Nutzung von Frauen kam auch Corinna Schmechel in ihrem Artikel „Kalorien zählen oder Tracken“: „[…]Das Überwachen des eigenen Körpers (z.B. durch Gewichtskontrollen und Menstruationskalender) hat eine lange Tradition als weibliche Körperpraxis“.16
Auch bei den Frauen gab es einen nicht zu vernachlässigenden Anteil als bei den Männern, der Self-Tracking für ebenfalls sportliche Zwecke verwendete. Eine besonders hohe Nutzungsnachfrage gab es vor allem bei Angeboten zur Gewichts- und Kalorienkontrolle. Daher ergibt sich basierend auf diesen Daten das Bild einer jungen Frau zwischen 10 und 29 Jahren, die Self-Tracking hauptsächlich zur Erreichung von Gesundheits- und Schönheitsidealen nutzt, während Sportlichkeit für sie eher zweitrangig ist. Als Nutzungs-Tools kommen für sie eher technisch wenig anspruchsvolle Apps auf dem Smartphone infrage als aufwendige zusätzliche Hardwarekomponenten. Die Potenziale für dieses Nutzungsklientel liegen vorzüglich auf der Steigerung von Gesundheit und dem Erreichen persönlicher Schönheitsideale und -vorstellungen. Die Ursache der Gefahren befindet sich für diese Gruppe hingegen hauptsächlich in den angestrebten Idealen, deren Ursprung in den Köpfen der jungen Frauen nicht abschließend zu klären ist. Gesellschaftliche und sozio-kulturelle Vorstellungen, Ideale und Anforderungen kombiniert mit Leistungs- und Erfolgsdruck sowie wachsender Wettbewerb, letztlich auch durch soziale Netzwerke befeuert, können zu Missbrauch und Fehlentwicklungen mit drastischen Konsequenzen führen. Dies wird zusätzlich durch die enormen Entwicklungsschübe während der Pubertät begünstigt, da in dieser Phase eine besondere Vulnerabilität für derartige Einflüsse besteht. Psychisch kann dies von affektiven Störungen und Stress aber auch Ess- und Verhaltensstörungen und selbstverletzendem Verhalten bis hin zur Suizidalität im Extremfall alles bedeuten. Sozio-kulturell kann dies Mobbing, Ausgrenzung und soziale Isolation zur Folge haben.
In der zweiten weiblichen Anwendergruppe wurde die Altersklasse zwischen 30 und 49 Jahren erfasst, für die ebenfalls gesundheitliche Themen, im Besonderen die Gewichtsüberwachung aber auch das Bewegungsmonitoring im Fokus der Self-Tracking Nutzung standen. Sport wurde im Zusammenhang mit Self-Tracking selten genannt. Der Anteil der Nicht-Nutzer war in dieser Altersklasse zu 100 % weiblich, was in Bezug auf das Geschlecht 50 % der Frauen entsprach. Aufgrund dieser Ergebnisse ergibt sich das Bild einer mittelalten Frau zwischen 30 und 49 Jahren, die Self-Tracking im Rahmen gesundheitlicher Thematiken einsetzt. Hierbei kommen bei ihr häufig klassische, nicht technische Messmethoden zum Einsatz und seltener Smartphone Apps. Die Technikaffinität bei Self-Tracking ist gegenüber der jüngeren weiblichen Anwendergruppe deutlich reduziert. Die Potenziale bestehen bei der vorliegenden Gesundheitsorientierung primär in der Gewichtsreduktion und der Vermeidung daraus resultierender Folgeerkrankungen. Da Übergewicht bei dieser Altersgruppe durch Stoffwechselveränderung signifikant ansteigt, ist der Einsatz von Self-Tracking Methoden durchaus sinnvoll.17 Große Gefahrenpotenziale konnten bei dieser Nutzergruppe nicht akut festgestellt werden, da das Selbstbewusstsein und die psychische Integrität häufig weniger anfällig ist gegenüber äußeren Einflüssen und Vorstellungen.
Die letzte Nutzergruppe dieser Geschlechtszugehörigkeit umfasst die Damen zwischen 50 und 79 Jahren, die generell nur noch wenig Self-Tracking betreiben. Wenn überhaupt kommen klassische Messmethoden wie Körperwaage oder einfache Apps zur Bewegungsaufzeichnung zum Einsatz. Es ergibt sich das Bild einer 50 bis 70-jährigen Frau, die das Self-Tracking nur gelegentlich verwendet und eher gesundheitliche Interessen damit verfolgt. Die Technikaffinität ist gegenüber den beiden jüngeren weiblichen Altersgruppen und gegenüber allen männlichen Befragten deutlich geringer. Bei der regelmäßigen Anwendung von Self-Tracking besteht das Potenzial einer effektiven mittel- bis langfristigen Gesundheitsprävention. Gefahren wie Missbrauch oder anderweitige Fehlentwicklungen sind für dieses Nutzungsklientel gänzlich untypisch.
Auf männlicher Seite ergab sich in der Altersgruppe zwischen 10 und 29 Jahren, eine häufige sportliche Nutzung von Self-Tracking, aber auch eine gesundheitsbewusste und wirtschaftliche Anwendungskomponente. Diese alters- und geschlechtsspezifischen Schemen zeichnen das Bild eines sportlichen jungen Mannes, der neben dem Streben nach Gesundheit und Fitness auch Schönheitsideale und wirtschaftstechnische Ziele mithilfe dieser Optionen anstrebt. Die Bereitschaft, auch mit neuen Hardwarekomponenten die persönliche Effizienzsteigerung zu unterstützen und sich auf diesem Bereich neue Kenntnisse anzueignen, spiegelt die hohe Technikaffinität in dieser Gruppe wider. Aufgrund der großen Aufgeschlossenheit und Offenheit gegenüber dem Thema Self-Tracking bietet es für diese Nutzergruppe enorme Potenziale bei der Effizienzsteigerung, aber auch ebenso große Gefahren. Auch hier spielen das junge Alter und die enormen Entwicklungsschritte neuropsychologischer Natur sowie die gesellschaftliche Stellung und die sozio-kulturellen Umstände eine bedeutende Rolle, wodurch die besondere Vulnerabilität für äußere Schönheits- und Leistungsansprüche begründet ist. Der Konkurrenzdruck ist in dieser Altersklasse gegenüber älteren Generationen deutlich erhöht und wird durch soziale Netzwerke in Zeiten vernetzter Informationstechnologien weiter verschärft.
In der männlichen Anwendergruppe zwischen 30 und 49 Jahren war die Teilnahme mit einer Person so gering, sodass die Auswertung nicht zielführend gewesen wäre.
Die Altersgruppe zwischen 50 und 79 Jahren beim männlichen Geschlecht überraschte mit einer vergleichsweise häufigen Nutzung von Self-Tracking Angeboten mit dem Thema Bewegungsmonitoring. Hierbei kamen vornehmlich Smartphone Apps zum Einsatz. Auch für sportliche und finanzielle Zwecke wurde Self-Tracking verwendet. Es ergab sich das Bild eines durchaus technikaffinen Herren zwischen 50 und 79 Jahren, der dem Thema Self-Tracking aufgeschlossen gegenüber steht und den Schwerpunkt bei der Selbstüberwachung auf gesundheitliche aber auch sportliche und finanzielle Thematiken setzt. Auch bei dieser Nutzergruppe älterer Personen überwiegen die Potenziale, wie die Effizienzsteigerung beim Sport, eine erfolgreichere Gesundheitsprävention sowie die vielseitige anderweitige Nutzung. Durch eine breite Lebenserfahrung und eine gefestigte Persönlichkeit sowie einen fest definierten sozio-kulturellen Status bestehen kaum Risiken für Missbrauch und Fehlentwicklungen.
Fazit
Welche Rolle das Self-Tracking bei der individuellen Entwicklung spielen soll, muss letztlich jeder für sich selbst entscheiden. In einer Gesellschaft, in der Individualismus und Vielseitigkeit als Vorteil gewertet wird, sollte man sich aber unbedingt mit der Frage beschäftigen, inwieweit gesellschaftliche Normen und Vorstellungen den Einzelnen in seiner Entwicklung determinieren. Denn letztlich ist das Self-Tracking nur ein Werkzeug, um bestehende Potenziale besser ausschöpfen zu können oder im negativen Fall Probleme weiter zu verschärfen. Um die wirkliche Ursache für die Entwicklung negativer Folgeerscheinungen nach Self-Tracking Nutzung zu finden, muss man die Kausalkette bis zu ihren Ursprüngen zurückverfolgen und die tatsächlichen Anfänge der Problematik eruieren und anschließend beseitigen. Denn letztlich ist das Self-Tracking nur ein Verstärker für diese.