rassismus macht krank? vermittlung von rassismus als soziale determinante von gesundheit

von Madlene Gomes Reis

Rassismus auf der veddel

Am 17. Dezember vergangenen Jahres detonierte der rechtsradikale weiß1 – deutsche Stephan K. auf einem Bahnsteig des S-Bahnhofs Veddel unter der Sitzreihe eines verglasten Windschutzes eine Splitterbombe. Die Detonation löste neben einer zwei Meter hohen Stichflamme eine so starke Druckwelle aus, dass die in der Tüte befindlichen Schrauben wie Geschosse in einem Umkreis von circa vier Metern umherflogen. Die Scheiben des Wartehäuschens zersplitterten. Ein neben ihm im Türbereich der S-Bahn stehender Fahrgast erlitt ein Knalltrauma auf dem linken Ohr und einen vorübergehenden Hörverlust. Nach seiner Verhaftung schilderte eine Zeugin im Prozess, dass der Angeklagte bis heute neonazistische Ansichten habe und alle Ausländer vergasen wolle.2 Antifa-Kreise betonten die politische Relativierung durch die Missachtung seines rechten Hintergrunds und die Ausblendung des Tatortes.3 Der Verdacht, dass die Tat aus rassistischen Motiven begangen wurde, liegt nahe: Auf der Veddel haben rund 70 Prozent der Anwohner*innen einen Migrationshintergrund.4 Es sei nur Glück, dass nicht mehr passierte, sagte ein Gerichtssprecher. Für weitere Menschen hätte dieser rassistisch motivierte Anschlag eine unmittelbare Gefahr für Leib und Seele bedeutet.5

Und mittelbar? Was bedeutet es für Anwohner*innen der Veddel zu wissen, dass Menschen einem Schaden zufügen wollen, weil man nicht weiß und deutsch ist?  Haben die Anwohner*innen der Veddel erfahren, dass es sich um einen rassistisch motivierten Anschlag gehandelt hat? Wie wirkt sich das Ignorieren oder Verneinen der Institutionen, solche terroristischen Taten als rassistisch motivierte zu bezeichnen und ahnden aus? Wie wirkt sich Rassismus auf die Gesundheit der Bewohner*innen der Veddel aus?

Diese Fragen bleiben (noch) unbeantwortet.

Wie sich rassistische Vorstellungen in Hamburger Institutionen eingeschrieben haben und inwieweit sich struktureller Rassismus auf Rom*nja und Sinte*zza auf der Veddel auswirkt, ist gut am Beispiel des im Jahre 2017 eröffneten Cafés Kafava nachzuvollziehen. Das Café ist Raum für Begegnung und Austausch von Rom*nja und Sinte*zza. Die ehrenamtlich Arbeitenden geben Unterstützung in Form von Übersetzung, helfen bei Behördenfragen und vermitteln weiter an andere Beratungsstellen.

In das Café kommen inzwischen auch „Nicht-Roma“. Andere Migrant*innen auf der Veddel, beispielsweise aus Afghanistan oder der Türkei, suchen dort ebenfalls Beratung auf. Bei der Arbeit würden sie merken, dass in der letzten Zeit die Belastung der Menschen aufgrund von Rassismus und Diskriminierung immer mehr werde. Es sei wichtig, dass Menschen, die mit Rom*nja und Sinte*zza arbeiten, die Geschichten von denen kennen und wissen, welche Erfahrungen sie machen. Mit diesen gemeinsamen Erfahrungen haben Rom*nja und Sinte*zza auch mehr Vertrauen zu den Menschen aus ihrer eigenen Community.6

Wie sieht es aus mit der Unterstützung der Stadt Hamburg für Projekte von Rom*nja und Sinte*zza?  Diese bekommen, so Njake Sedijovic (Mitarbeiterin und Aktivistin des Cafés Kafava), für Rom*nja und Sinte*zza keine Unterstützung von Stadt, Politik und Behörden. Sehr wahrscheinlich bekommen sie kein Geld von der Stadt, weil diese „Roma“ seien. Die Arbeit würde nicht anerkannt. Sie habe drei Jahre lang auf das Café warten müssen. Sie wird nicht bezahlt, ist aber qualifiziert. Die Reaktionen auf das Café seien unterschiedlich. Sie bekommen Unterstützung von weißen Deutschen sowie vom Café Nova und New Hamburg; aber sie werden auch beschimpft und bedroht, weil man sie dort nicht haben möchte. Einmal die Woche öffnen sie ihre Türen, aber es reicht nicht aus, so Sedijovic. Es gibt viele Menschen, die Unterstützung brauchen. Es gäbe viele Ideen für die Stadteile Veddel und Wilhelmsburg. Die Stadt müsse nur wollen.7

—- Mehr zu Rassismus gegen Rom*nja und Sinte*zza in Hamburg findet ihr hier —-

Die Veddel.8

die poliklinik

Im Januar 2017 eröffnete ein rund 20-köpfiges interdisziplinär arbeitendes Team in der leerstehenden Polizeikaserne nahe des Hamburger Zollhafens die Poliklinik Veddel als Stadtteilgesundheitszentrum mit Allgemeinarztpraxis.9

Die Idee zum Projekt entstand, als ein Großteil der heutigen Poliklinik-Mitarbeiter*innen für die Hamburger Initiative Medibüro arbeitete, die sich um die Gesundheitsversorgung für Geflüchtete ohne Ausweispapiere kümmerte.10 Nachdem das Bundesinnenministerium offiziell verkündete, dass die medizinische Unterstützung nicht als Beihilfe zum illegalen Aufenthalt gilt und die Helfer*innen große Anerkennung erhielten, wuchsen die Zweifel. Man wollte nicht als Sozialdienstleister*innen instrumentalisiert werden für ein ökonomisiertes Gesundheitssystem.11 Also beschloss die Gruppe aus Ärzt*innen, Sozialarbeiter*innen, Pädagog*innen, Handwerker*innen und Jurist*innen das System „von unten umzukrempeln“ – und entschied sich in einen Stadtteil zu gehen, der trotz gesundheitsschädlicher Umstände medizinisch unterversorgt war. Zu den Angeboten der Poliklinik gehören neben der Gesundheits- und Sozialberatung sowie der psychologischen Beratung auch Präventionsprojekte zu den Themen Stress, Rassismus, Rechte und Gesundheit.12

konzept der poliklinik

Für die Poliklinik ist Gesundheit eine soziale Frage. Gesundheitliche Ungleichheiten finden ihre Ursachen in der Gesellschaft, den sozialen Determinanten von Gesundheit. Diese sozialen Ungleichheiten machen krank. Die Reduktion sozialer Ungleichheit auf gesamtgesellschaftlicher Ebene, genauso wie die Verbesserung und Neuorientierung der Gesundheitsversorgung im Stadtteil, müssen, so Poliklinik, Ziele einer modernen Medizin sein. Sie wollen so der herrschenden neoliberalen Sicht zur Eigenverantwortlichkeit entgegenwirken, die Gesundheit vor allem als eine Frage der individuellen Verantwortung sieht.

Sie schlagen drei Punkte (Kreise) zur Verbesserung der Stadtteil-Gesundheit vor:

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Die primäre Gesundheitsversorgung
Die primärmedizinische Versorgung durch eine allgemeinmedizinische Praxis und anderen medizinischen Sektoren, die folgen sollen.

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Die Kollektivierung der gesundheitlichen Problemlagen im Stadtteil
Die gesundheitlichen Problemlagen sollen durch Empowerment kollektiviert werden und die konkreten sozialen Determinanten von Gesundheit sollen auf der Veddel erforscht werden. Empowerment solle die Vereinzelung aufheben und mache deutlich, dass man gemeinsam etwas verändern könne. Dazu soll Bildungsarbeit im weiten Sinne auf der Veddel betrieben werden, um mehr Selbstbewusstsein zu schaffen und den Bewohner*innen und Nutzer*innen deutlich zu machen, dass diese sich bestimmte Fähigkeiten aneignen müssen, wie auch den Mut haben müssen für ihre Belange einzutreten und sich auf ein Kollektiv einzulassen. So müssen für eine gemeinsame Bearbeitung der gesundheitlichen Bedarfe der Poliklinik-Nutzer*innen, die herrschenden Hierarchien im Gesundheitsbereich wahrgenommen werden und diese „über Bord“ geworfen werden. Dies betreffe sowohl das Verhältnis der Gesundheitsberater*innen untereinander, als auch das Verhältnis zu den Nutzer*innen, die selber die zentralen Expert*innen seien, wenn es um ihre Gesundheit ginge. Einer der Hauptansprüche der Poliklinik sei es, Strukturen der gesellschaftlichen Partizipation im Stadtteil zu schaffen, die eine unmittelbare Beteiligung an der konkreten Ausgestaltung des Stadtteilgesundheitszentrums ermöglichen und weiterführende Perspektiven für ein selbstbestimmtes und gesundes Leben eröffnen. Ziel sei es auch, sich der diversen Blickwinkel auf Gesundheit bewusst zu werden, voneinander zu lernen und zusammen ein neues Verständnis von Gesundheit und Krankheit sowie den daraus resultierenden (Be-)Handlungsoptionen zu schaffen. Erlernte Wissensbestände sollen hinterfragt werden und Wissensressourcen zur Verfügung gestellt werden.

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Die Veränderung der Verhältnisse
Die politische Dimension wollen sie als Teil der Gesundheitsarbeit begreifen und die herrschenden Verhältnisse verändern. Ihre Aufgabe sehen sie darin, die Nutzer*innen der Poliklinik und Bewohner*innen des Stadtteils „in ihrem Recht auf gesellschaftliche Teilhabe und Mitgestaltung der Verhältnisse zu unterstützen und gemeinsam reale Utopien für eine Verbesserung der Lebensverhältnisse zu entwerfen.“ So gehen sie davon aus, dass die Qualität im Gesundheitssystem gesteigert werden könne, wenn die Menschen an der Gestaltung ihrer Gesundheitsversorgung und ihrer Lebensumstände beteiligt seien.13

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das festival

Als das Kollektiv erfuhr, dass ihr Kooperationspartner „New Hamburg“ für das Jahr 2018 ein Festival (SoliPolis) plant, dachten sie sich, dass dies eine gute Gelegenheit sei, um dem Stadtteil nochmal deutlicher zu machen, was ihr Ansatz von Gesundheit ist.14 Geplant war eine Organinstallation, wo anhand der Organe Herz, in Verbindung mit StressLunge, in Verbindung mit Umweltfaktoren und Auge, in Verbindung mit Rassismus, die sozialen Determinanten von Gesundheit in den Fokus gerückt werden sollten. Für die Planung hat sich das Kollektiv in Gruppen, die sich auf die Organe bezogen haben, aufgeteilt. Anfang diesen Jahres haben die Vorbereitung für das Festival sowie auch das Ansetzen meiner Forschung begonnen. Die Möglichkeit bei der Vorbereitung des Festivals mitzumachen und zu erforschen, ergab sich nach einem ersten Treffen, gemeinsam mit anderen Kommilitonen, die auch in der Polklinik forschen wollten, wo uns eine der Poliklinik-Mitarbeiterinnen erzählte, dass es bald dieses Festival geben würde, und dass sich die Poliklinik dafür in unterschiedlichen Gruppen zu Vorbereitung befinden würde. Insgesamt gab es drei Gruppen, die sich erstmal entsprechend der Organe aufteilten. Ich nahm am Treffen der Gruppe „Auge“ teil. Bei dem Treffen stellte sich heraus, dass anhand des Organs Auge und einer Ausstellung, sowie Workshops, den Anwohner*innen auf der Veddel vermittelt werden sollte, dass Rassismus als soziale Determinante sich auf die Gesundheit auswirkt.15 Ich habe als teilnehmende Beobachterin an den Vorbereitungstreffen der Gruppe „Auge“ und an dem Festival selbst teilgenommen sowie nach dem Festival Interviews mit Personen, die in der Auge-Vorbereitungsgruppe waren, durchgeführt und habe versucht zu untersuchen, wie die Poliklinik sich mit dieser Thematik auseinandersetzt und auf welche Art und Weise die Vermittlung von statten ging. Das Festival fand Mitte September statt. Zwischen S-Bahn und Deich entstand ein Gesundheitspavillon in Form einer Lunge. Dabei hat sich in der Beobachtung, während der Vorbereitung und des Festivals sowie nach Auswertung der Interviews gezeigt, dass festgelegtes Wissen über Rassismus und dessen Auswirkung als soziale Determinante auf die Gesundheit von der Poliklinik vorherrschen. Im Folgenden soll gezeigt werden, wie die Poliklinik mit dem Thema Rassismus und Rassismus als soziale Determinante von Gesundheit in puncto Wissen, Deutungshoheit und Vermittlung umgegangen ist.

poliklinik: „rassismus macht krank“

Dass sich Rassismus als soziale Determinante (neben anderen Faktoren) auf die Gesundheit und somit auch auf die Gesundheit der auf der Veddel lebenden Menschen auswirkt, erachtet die Poliklinik als Tatsache.16 Rassismus und Diskriminierung haben einen bedeutenden Einfluss auf die Gesundheit und die Lebenserwartung. Dieses postulierte Wissen über Rassismus als soziale Determinante wurde während der Vorbereitungsphase und der anschließenden Ausstellung deutlich. Menschen, die von Rassismus betroffen sind, leiden häufiger und früher unter chronischen Krankheiten.17

Die vorbereitungsphase

Anhand des postulierten Wissens sollte nun die „Auge“-Ausstellung konzipiert werden. Die Gruppe bestand, mich und eine andere weiße Kommilitonin ausgeschlossen, aus Personen, die Teil der Poliklinik waren. Alle waren (außer bei einem Treffen), mich ausgeschlossen (Schwarze Cis-Frau), weiß. Die Hauptverantwortlichen der einzelnen Gruppen waren weiße Akademiker*innen. Das Postulieren von Rassismus als soziale Determinante von Gesundheit entsprach nicht wissenschaftlich, empirisch gemachten Studien auf der Veddel oder gar in Deutschland, sondern war aus US-amerikanischer Literatur, aus dem medizinischen Bereich und von Aussagen von Personen, die im näheren Umfeld bezüglich Rassismus gemacht wurden.18

Um zu erfahren, welche Rassismus-Erfahrungen die Anwohner*innen der Veddel gemacht haben und wie sie sich dabei gefühlt haben, sollten Fokusgruppeninterviews durchgeführt werden, die von weißen Poliklinikmitarbeiter*innen geleitet werden sollten und dann ausgewertet werden sollten. Was die Interviews und die anschließende Auswertung für die Ausstellung und allgemein bringen sollten, war nicht sofort klar. Der Entschluss stand fest, diese vor dem Festival durchzuführen. Die weiße Kommilitonin und ich, anhand unseres zu dem Zeitpunkt herrschenden Wissens über Rassismus und dem Umgang bzw. Abbau, äußerten Kritik bezüglich der Vorgehensweise. Dass das Vollziehen der Fokusgruppeninterviews in der Art und Weise eher eine Befragung wäre und kein hierarchieloser Austausch, da auch diese Konstellation einem herrschenden Machtverhältnis entsprechen würde. Weiße Person, die von einem rassistischen System profitiert, befragt Menschen, die von Rassismus betroffen sind, welche Erfahrung sie denn so machen bzw. erhebt Daten, ohne wirklich einen konkreten Plan zu haben, was mit den Ergebnissen gemacht werden soll. Weiterhin fügten wir hinzu, dass Rassismus ein sensibles Thema ist – das Rassismus-Erfahrungen, nach unserem Wissensstand Traumata-Erfahrungen entsprechen, die meist nicht ohne weiteres mit Personen geteilt werden würden, die selber diese Erfahrungen nicht gemacht haben (weiße Personen) und potenziell diese Rassismen ausüben könnten. Man müsse erstmal in einen wirklichen Austausch mit PoC-Organisationen, Vereine, Cafés etc. auf der Veddel gehen. Das heißt mit Sprecher*innen o.ä. der einzelnen migrantischen Communities oder PoC-Communities sprechen, die schon im Kontakt mit den Menschen dort stehen und schon selber Erfahrungen mitbringen – und die vor allem gerade beim Thema Rassismus, Rassismuserfahrung auf der Veddel eingebunden werden sollten. Dies würde jedenfalls dem im Konzept ausgesprochen Anspruch der Poliklinik entsprechen von den Menschen zu lernen, also nach ihrem Expert*innenwissen zu fragen. Unsere Kritik machte also klar, dass diese Fokusgruppeninterviews nicht von den weißen Poliklinikmitarbeiter*innen durchgeführt werden sollten bzw., dass man sich eigentlich ein anderes Konzept überlegen müsse. Diese Kritik wurde aufgrund von fehlender Zeit bis zum Festival abgelehnt. Die sei etwas worauf man dann irgendwann später kommen müsste.19

Es sollte sich dann auch am Ende herausstellen, dass von den geplanten genau eines von einer weißen Poliklinik-Mitarbeiterin mit einer Jugendgruppe durchgeführt wurde und letzten Endes nicht in die Festival-Ausstellung einfloss.20

Auch bezüglich der Universalisierung des Wissens über Rassismus und Rassismus als soziale Determinante von Gesundheit und der Vermittlung dieser äußerte ich beim letzten großen Vorbereitungstreffen Kritik. Rassismus als soziale Determinante von Gesundheit und die konkreten Auswirkungen, die Rassismus auf Gesundheit haben kann, sollte den Anwohner*innen in dieser Ausstellung als auch für sie geltender Fakt für ihre Gesundheit vermittelt werden. Dabei waren die Studien und erhobenen Daten und Auswertungen im US-amerikanischen, medizinischen Kontext zu verorten. Man könne sie also meines Erachtens nicht auch auf die von Rassismus betroffenen Menschen auf der Veddel oder gar in Deutschland aufstülpen.21

Stuart Hall betont nicht umsonst, dass es nicht den einen Rassismus gibt, sondern viele Rassismen. Diese können in ihren ideologischen und strukturellen Manifestationen und Folgen durchaus voneinander unterschieden werden und können somit als differente Systeme von Rassismus definiert werden. Die Entwicklungen hin zu einer rassistischen Gesellschaft bzw. zu rassistischen Institutionen und Strukturen haben in den jeweiligen Ländern unterschiedliche Entwicklungen gehabt. Dieser ist historisch spezifisch, je nach der bestimmten Epoche, Kultur oder Gesellschaftsform, in der er vorkommt. Plakativ heißt es, dass z.B. eine Schwarze Frau, die in den USA lebt, strukturellen Rassismus erfahren kann, wie eine Migrant*in oder PoC auf der Veddel, aber der konkret erlebte Rassismus und dessen Auswirkungen können different sein. Diese jeweiligen spezifischen Unterschiede muss man analysieren.22

Der Kulturanthropologe Simon macht auch deutlich, dass die Grundverständnisse von Krankheit und Gesundheit sich kulturell unterscheiden können. Er geht auf die kulturell unterschiedlich wahrgenommenen und gedeuteten Symptome von Krankheiten ein und beschreibt, dass häufig unterschiedliche Vorstellungen davon vorherrschen, was für die eigene Gesundheit zu- oder abträglich ist, was mensch darf oder nicht, wodurch Krankheiten tatsächlich ausgelöst werden und wie man sie anschließend wieder loswerden kann.23

Also um Rassismus bzw. die mittelbaren oder akuten Auswirkungen dessen zu bekämpfen muss erstmal gesehen werden, dass die Entwicklung von Rassismus in den jeweiligen Ländern aufgrund von differenten Historien sich unterscheiden können. Auch die Veddel hat bedingt durch ihre Geschichte und andere Aspekte, die die Gesundheit beeinflussen können, eine andere Entwicklung hinter sich. Außerdem kommen Menschen dort zusammen, die aufgrund ihrer im Laufe des Lebens bzw. auf der Veddel gemachten Erfahrungen, die Auswirkungen, die Rassismus auf sie haben könnte, durchaus anders bewerten könnten sowie auch andere Strategien bezogen auf Behandlung und Prävention mit sich bringen könnten. Da man von unterschiedlichen Rassismen spricht, müsse man dann nicht auch von unterschiedlichen Wegen hin zu einer Beeinträchtigung der Gesundheit und differenten präventiven und kurativen Strategien oder Methoden sprechen, die angewendet werden müssten? Müssten diese Differenzen nicht in die Postulierung „Rassismus macht krank“ und in die Präventionsarbeit einfließen?

Auch nach dem diese Kritik geäußert wurde, war eine lange Schweigephase zu vermerken, die ein Poliklinik-Mitarbeiter mit der Aussage, dass dies vermerkt werden würde, auflöste. Dies passierte aber letzten Endes nicht.

Priorisiert wurde bei der Planung für die „Auge“-Ausstellung, dass das schon vorherrschende Wissen über Rassismus als soziale Determinante von Gesundheit, vermittelt werden sollte. Das Wissen, die Erfahrungen der von Rassismus betroffenen Veddler Anwohner*innen und dessen Auswirkung auf Gesundheit wurde für die konkrete Ausstellung nicht an zweite Stelle gesetzt, sondern aus zeitlichen Gründen komplett als ausschließbar erachtet. Das medizinische Wissen, das Wissen aus US-amerikanischen Forschungen und das Wissen der weißen Poliklinikgruppe über Rassismus (als soziale Determinante) war wichtiger, essentieller für die Ausstellung als die Partizipation, das „Expert*innenwissen der Anwohner*innen“ und der konkrete Austausch mit diesen.

Dass dies ein wichtiger Teil der Ausstellung und der Vorbereitung hätte sein müssen, stellt eine Mitarbeiterin der Poliklinik fest, als sie nach dem Festival mit einer Frau der ghanaisch-katholischen Kirchengemeinde spricht und sie ihr sagt, dass man natürlich am besten solche Dinge gemeinsam vorbereitet und plant, um dann genau zu gucken, was da genau die Fragestellung ist, damit die Leute sich überhaupt angesprochen fühlen und motiviert sind solche Angebote wahrzunehmen.24

Die ausstellung

Nun was passiert, wenn die Perspektive der Betroffenen nicht als essentieller Teil miteinbegriffen wird, für eine Ausstellung, die als postulierte Zielgruppe die Veddler Anwohner*innenschaft (mit Rassismus-Erfahrung) hatte? Man muss dann am Ende feststellen, wie das im Verlauf des Interviews mit einer der Mitarbeiter*innen klar wurde, dass nur Menschen aus dem eigenen sozialen Umfeld kommen. Man stellt fest, dass hauptsächlich weiße Akademiker*innen, die nicht Veddler*innen waren, die Ausstellung besucht haben. Man muss auch feststellen, dass bezüglich der angebotenen Empowermentworkshops auf dem Festival für PoCs kaum jemand kommt und die von außerhalb geholten Leiter*innen der Workshops, die selber PoC waren, Kritik äußerten bezüglich der Werbung und der fehlenden Informationen bezüglich ihrem nicht-weißen Hintergrund. Man stellt fest, dass alle möglichen Institutionen, wie auch Einzelpersonen als Multiplikator*innen frühzeitig eingebunden werden sollten und am besten eine kontinuierliche Zusammenarbeit stattfinden sollte; um dann aber trotzdem in der bis dato gemachten Evaluation festzustellen, dass das eigentliche Ziel nicht die Vermittlung des Ansatzes der Poliklinik an die Veddel war, sondern das Zugehen auf die Krankenkassen – und das Empowerment- und rassismuskritische Sensibilierungsworkshops Teil der Präventionsarbeit von Krankenkassen werden sollten. Das wäre nämlich eine Anerkennung von Rassismus als Gesundheitsrisiko, so weiße Poliklinik-Mitarbeiterin im Interview. Dies solle in den nächsten Jahren als nächstes Projekt weiterverfolgt werden. Für dieses Ziel oder Projekt war der Titel „Rassismus macht krank“ richtig gewählt, weil es einfach und an Weiße gerichtet war.25

Trotz der Feststellung durch nach dem Festival geäußerte Kritiken bezüglich fehlender Einbindung von PoCs und Anwohner*innen der Veddel, schlussfolgert man, dass ohne vorher sich genau mit Rassismen und dessen Auswirkungen auf die Gesundheit der Veddler Bewohner*innen, Empowermentwokshops als Präventionsmöglichkeit dienen könnten und dies eine weiterer Schritt der Anerkennung von Rassismus als soziale Determinante von Gesundheit wäre. Die Kritiken und eine bis dato geführte Evaluation der Ausstellung führten also dazu, dass weiterhin das vorherrschende, ohne die Veddler Anwohner*innenschaft erarbeitetes Wissen von Rassismus als soziale Determinante von Gesundheit und Empowermentworkshops als erster Präventionsschritt sowie die Vermittlung dieser Aspekte an die Krankenkassen angestrebt und priorisiert wurden. Damit diese endlich die Perspektive der Poliklinik auf Rassismus als soziale Determinante von Gesundheit anerkennen und die Präventionsvorschläge der Poliklinik bezahlen.

Ist es die Art von Anerkennung, die die von Rassismus betroffenen Veddler*innen wollen und brauchen? Welche empirische bzw. wissenschaftliche Basis gibt es, dass Empowerment-Workshops bzw. Sensibilisierungsworkshops als Prävention gegen Rassismus dienen könnten? Führt diese Entscheidung zum Abbau von Rassismus? Sehen die Veddler Anwohner*innen den Rassismus als soziale Determinante von ihrer Gesundheit?

Auch diese Fragen bleiben (noch) unbeantwortet.

Folgendes stand in eines der ausgestellten Texte auf der „Auge“-Ausstellung:



„Im Jahr 2016 konnten 38,1 % der Kinder unter fünf Jahren in Deutschland auf eine Migrationsgeschichte in ihrer Familie schauen, doch diese Realität werde in der überwiegenden Mehrheit der Kinderbücher nicht abgebildet: Oft meistern ausschließlich weiße Kinder und Erwachsene Probleme und bestehen Abenteuer; Schwarze Kinder und Erwachsene tauchen bestenfalls als Statist*innen im Hintergrund auf.“26


oder anders


Im Jahr 2018 konnten 70 % der Menschen, die auf der Veddel leben auf eine Migrationsgeschichte in ihrer Familie schauen, doch diese Realität wird in der Besetzung und in der Praxis der Poliklinik sowie in der Auseinandersetzung mit Rassismus auf der Veddel bis jetzt noch nicht abgebildet. Das Wissen über Rassismus und Rassismus als Soziale Determinante von Gesundheit wird ausschließlich vom weißen Poliklinik-Kollektiv erarbeitet und vermittelt. die Veddler Anwohnerinnen* und Anwohner tauchen bis jetzt bestenfalls als Statist*innen im Hintergrund auf.



Keine*r gibt gerne macht ab

Die Identität derjenigen, die an den Tischen sitzen, von denen aus Macht ausgeübt wird, seien immer noch weiße, able-bodied Männer aus der Mittel- bis Oberklasse, stellt DiAngelo fest. Die Entscheidungen, die an solchen Tischen getroffen werden, können das Leben von denen beeinflussen, die nicht an diesen Tischen sitzen. Die Exklusion derjenigen, die an den Tischen sitzen, hängt meist nicht von einer bewusst, gewollten Handlung oder Praxis ab. Man muss Exklusion nicht beabsichtigen – trotzdem können die Ergebnisse unserer Aktionen ausschließend wirken.27 Ungerechtigkeiten können einfach durch Homogenität auftauchen. Also, wenn man sich innerhalb einer Gruppe bewegt in denen die Perspektiven von den Betroffenen nicht zu Wort kommen, dann können diese nicht wahrgenommen werden und zu einer entsprechenden Handlung bewegen.28

Das Ergebnis ist, dass die Menschen, um die es geht, sich außerhalb des herrschenden Diskurses und der Wissensproduktion über sich selbst befinden. Spivak nennt solche Gruppen subalterne Gruppen. Diese Definition bringt Spivak in ihrem bekanntesten Essay „Can the Subaltern Speak?“ vor, in dem sie sich unter anderem mit der Problematik der Repräsentation indischer Frauen* im Kontext ritualisierter Witwenverbrennung auseinandersetzt. Sie stellt fest, dass der herrschende Diskurs die eigene Position der jeweiligen Witwen komplett übergeht, in dem der Akt der Verbrennung als eine barbarische Manifestation der patriarchalen Gesellschaftsstruktur Indiens oder aber als freier Wille der sich opfernden Frau* dargestellt wird. Die britischen Kolonialherr*innen bzw. die religiösen indigenen Eliten maßen sich somit an, für und also auch an Stelle der betroffenen Witwen zu sprechen. Für letztere bleibt innerhalb dieses Diskurses kein Platz. Diese Frauen* sind aber nicht zu passiv, um für sich selbst zu sprechen. Vielmehr ist der Sprechakt erst dann vollendet, wenn die Stimme der Sprechenden auch gehört wird. Da dies im hegemonialen Diskurs aufgrund der Repräsentation durch Kolonialherr*innen oder indigene Eliten aber unmöglich ist, verstummt die subalterne Frau*, selbst wenn sie sich äußert.29 Daraus ergibt sich also eine Hierarchie der Wissensproduktion, die bestimmte Formen von Wissen disqualifiziert, mundtot macht und dominante Formen von Wissen reproduziert.30 Die Disqualifikation und das Mundtotmachen geschieht meist nicht, weil dies bewusst gewollt wird von denjenigen, die den Diskurs bestimmen und führen. Die Hierarchien von Wissensproduktion entstehen, nach Bourdieu, durch die ungleiche Verteilung von Ressourcen. 31 Wissen ist ein Machteffekt, dass soziale Ungleichheit reproduzieren kann.32 In Feldern bzw. sozialen Kontexten wetteifern Menschen auf einer unbewussten Ebene nach Macht. Die Konkurrenzsituation in den Feldern führt dazu, dass bestimmte Akteur*innen auf die Verbesserung ihrer Position abzielen, sei es durch mehr ökonomisches, kulturelles, soziales oder symbolisches Kapital, in Form von sozialer Anerkennung. Für den Erhalt oder die Verbesserung der sozialen Lage finden Kämpfe statt, die zu einem konflikthaften Dauerzustand der Produktion und Reproduktion von Machtrelationen führt.33 Die Macht beruht auf den ungleich verteilten Ressourcen. Dies betrifft auch das Wissen, das produziert, reproduziert und vermittelt wird.34

Die oben polemisch formulierte Gegenüberstellung soll verdeutlichen, dass auch das weiße Poliklinik-Kollektiv in ihrer Praxis bzw. in ihren Handlungen nicht befreit ist von herrschenden rassistischen Strukturen und Hierarchien von Macht, Wissensproduktion und Wissenslegitimation, die soziale Ungleichheit produzieren können. Das von ihnen formulierte Konzept mit den Ansprüchen der Enthierarchisierung, der Partizipation und der in den Fokus rücken des Wissens der Veddler Anwohner*innenschaft bzw. der Nutzer*innen der Poliklinik über Rassismus und dessen Auswirkung auf die Gesundheit, mit gleichzeitiger Formulierung einer festen Position, einer Vision, konkreten Theorie und letzten Endes auch Ideologie, stellt nicht nur einen inhärenten Widerspruch da, der sich zwangsläufig in der Praxis wiederspiegelt. Es vernachlässigt auch die unterschiedlichen (Macht-)Positionen, mit unterschiedlich verteilten Ressourcen, die sich gegenübertreten.

Auf der einen Seite die Poliklinik mit wissenschaftlichem und zum Teil institutionell legitimierten Wissen über Rassismus bzw. Rassismus als soziale Determinante von Gesundheit, das vom weißen und somit vom rassistischen System profitierenden Menschen mit einem akademischen Hintergund (kulturelles und symbolisches Kapital) vermittelt werden soll, für die Vermittlung, Gelder von staatlichen Institutionen und Stiftungen bekommt (ökonomisches Kapital) und dann für die Arbeit Anerkennung erfährt (symbolisches Kapital). Auf der anderen Seite die von Rassismus betroffenen Anwohner*innen, die auf der Veddel leben. Ein Stadtteil, der von der Stadt und den Medien als Problemstadtteil und Parallelgesellschaft stigmatisiert wird und mit, wie am Anfang am Beispiel des Café Kafavas und des Bombenanschlags benannt, konkret mit strukturellem und institutionellem Rassismus zu kämpfen hat.

Das diese ungleich verteilten Ressourcen, trotz angestrebter Enthierarchisierung der Verhältnisse zwischen Poliklinik und Nutzer*inenn der Poliklinik, nun mal soziale Ungleichheiten produzieren können, die die Poliklinik eigentlich bekämpfen will, hat sich auch in der Praxis während der Vorbereitungsphase für die Ausstellung, in der Ausstellung und letzten Endes auch nach der Ausstellung, trotz geäußerter Kritik, gezeigt. Das Wissen über den Einfluss von Rassismus auf die Gesundheit, das von der Poliklinik produziert wurde und die Vermittlung, die auf einer einseitigen Ebene stattfand, wurde priorisiert.

Selbst, wenn diese einseitige Ebene der Wissensproduktion angeprangert wurde, von Nicht-Mitgliedern der Poliklinik und von betroffenen Personen der Veddel, hatte dies keinen konkreten Einfluss auf Entscheidungen, die getroffen wurden. Das machte die Veddler Anwohner*innenschaft in Relation zur Poliklinik zu einer subalternen Gruppe. Der vermittelte Diskurs über Rassismus und Gesundheit in der Ausstellung überging die Position der betroffenen Personen der Veddel. Hier maßen sich zwar nicht britische Kolonialherr*innen oder eine indigene Elite an Stelle der betroffenen Veddler*innen über ihre Gesundheit und über Prävention zu sprechen, sondern eine vom rassistischen System profitierende weiße Gruppe, die aufgrund ihrer Kapitalien und ihrer Position als weiße Gruppe die Macht hatte den Diskurs über die Gesundheit der von Rassismus betroffenen Veddler*innen zu führen und dieses Wissen darüber in einer materialisierten Form in der Ausstellung im „Gesundheitspavillon“ mitten auf der Veddel für zwei Wochen zu verewigen.

Eine rassistische Sozialisierung versetzt uns in die Lage, rassistisches Verhalten zu wiederholen, unabhängig von den Absichten oder dem Selbstbild. So schreibt DiAngelo, dass Weiße, die sich als liberal ansehen und meinen etwas gegen Rassismus tun zu wollen, oft in ihren Konzepten, Analysen oder Zielen, ihre eigene Teilnahme in einem System der Ungleichheit und der Herrschaft vernachlässigen.35 Weiße Individuen können durchaus gegen Rassismus sein und können sich dagegen engagieren. Trotzdem profitieren sie von einem System das Weiße als Gruppe privilegiert.36 Rassismus sei somit weißen Strukturen inhärent.37

Selbst, wenn die Anwohner*innen gesprochen haben, floss deren Wissen nicht in Entscheidungen, die getroffen wurden, mit ein. Sie waren höchstens Statist*innen bzw. Objekt. Somit stellte die Ausstellung die materialisierte Hierarchie der Wissensproduktion und Wissensvermittlung dar, die die von Rassismus betroffenen Veddler*innen bezüglich ihrer Belange mundtot gemacht hat, objektiviert hat und dominante Formen von Wissen, aus dominierender Perspektive reproduziert hat. Also eine Ausstellung von Weißen für Weiße über die Auswirkung von Rassismus auf die Gesundheit von Nicht-Weißen.

wer spricht über wen?

„Weist nicht die fehlende Diversität einer Gruppe oder auf dem Arbeitsplatz darauf hin, dass es ein Problem gibt bzw. dass bestimmte Perspektiven fehlen?“

fragt sich DiAngelo.38

„Die Mehrheitsgesellschaft debattiert lieber über Menschen, die Diskriminierungserfahrungen machen, als mit ihnen.“

stellt Sibel Schick enttäuscht von der deutschen Linken, die auch zur Diskriminierung von marginalisierten Menschen beiträgt, fest.39

Selbst, wenn es um ihre Anliegen geht, wird marginalisierten Gruppen kaum ermöglicht sich an den Debatten zu beteiligen. Wie Spivak verdeutlicht führt dies dazu, dass diejenigen, die schon kaum gehört werden, durch fehlende Repräsentation, immer leiser und weniger glaubwürdig werden.40 Die Macht beruht auf die ungleich verteilten Ressourcen. Dies betrifft auch das Wissen, das produziert, reproduziert und vermittelt wird bzw. vermittelt werden kann.41 Oder wie Schick es formuliert: „Wer nicht zu Wort kommt, wird auch nicht gehört.“ „Ohne Glaubwürdigkeit kein Überleben.“42 Für das Überleben, also auch für die Gesundheit der von Rassismus betroffenen Veddler*innen, kann die Praxis der Poliklinik unmittelbare und mittelbare Folgen für ihre Gesundheit haben. Das Postulieren von Auswirkungen von Rassismus auf die Gesundheit der von Rassismus betroffenen Veddler*innen, ohne, wie Hall es vorschlägt, die unterschiedlichen Rassismen und dementsprechend auch Auswirkungen in den jeweiligen Kulturen und Ländern zu begreifen,43 und anschließend präventive Maßnahmen ohne die Perspektive der von Rassismus betroffenen Veddler*innen zu formulieren, könnte sich negativ auf die Gesundheit dieser auswirken. Auch deswegen spricht Simon sich dafür aus, dass sozial, kulturell und individuell gemachte Erfahrungen anerkannt werden sollten und sinnvoll mit ihnen gearbeitet werden sollte, um so eine effektive Behandlung von Krankheiten und Sicherung von Gesundheit zu ermöglichen.44

Ausklang

Markante Widersprüche unserer Zeit können nicht mit Modellen begegnet werden, die ihre Rolle in der Weiterführung bzw. Reproduktion genau dieser Widersprüche in voller Gänze nicht erkennt und in die Praxis umsetzt. Eine postmigrantische Gesellschaft kann nur als Stärke gesehen werden, wenn diejenigen, die diesen Migrationshintergrund als persönliches Wissen und kollektive Erinnerung mitbringen, auch diejenigen sind, die über ihre Belange sprechen und Teil der Lösung des Problems sind und ihre Vision für eine Gesundheitsversorgung der Zukunft formulieren können. Die Bedürfnisse und Stimmen zu Auswirkung von Rassismus auf Gesundheit der von Rassismus betroffenen Veddler*innen und Nutzer*innen der Poliklinik muss im Mittelpunkt stehen, alles andere unterscheidet sich nicht von paternalistischer Wohltätigkeitsarbeit. Mendívil betont, dass eine antirassistische Bewegung die unterdrückten Subjekte dieser Machtachse, nicht-weiße Menschen bzw. PoC, als die führenden Kräfte dieses Kampfes verstehen muss. Schließlich ginge es um ihr tägliches Überleben. Weiße Aktivist*innen, eingeschränkt in ihrem Erfahrungshorizont als Teil des weißen, Rassismus ausübenden Kollektivs, müssten endlich Raum für selbstorganisierte Kämpfe geben und ihre paternalistische Haltung verlernen. Nur so können radikale Bündnisse entstehen. Nur so könnte die Antira-Szene endlich von den Subjekten des Kampfes gegen Rassismus geführt werden und somit erstmals tatsächlich antirassistisch handeln.45

Es steht außer Frage, dass man sich einsetzen, engagieren, austauschen soll, auf Missstände hinweisen muss, politisch einen Wandel einleiten muss und Solidarität ausüben sollte – aber bitte auf Augenhöhe und in gemeinsamer Erarbeitung der Lösungen. Als privilegiertes weißes Kollektiv sollte die Poliklinik sich immer gedanklich, sprachlich und beim Handeln kritisch hinterfragen. Das Hinterfragen und das Begreifen seiner Privilegien muss Teil eines solche Konzeptes und letzten Endes auch der Praxis sein.

Quellenverzeichnis